Jody Korbach

Ein Loch ist ein Loch – Niemals geht man so ganz, oder über die Unmöglichkeit anzukommen

 

Eröffnung: 27. April 2024, 18 Uhr
Einführung: Valentine Goldmann und Celina Sturm
Laufzeit: 27. April bis 8. Juni 2024

Gießener Kulturnacht: 25. Mai 2024, 17 bis 22 Uhr (mit Performance des Schützenkorps Europa)

Artist Talk: 8. Juni 2024, 16 Uhr (mit Lesung von Özge Inan)

 

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"Heimat muss man wollen. Jedenfalls dann, wenn die Heimat einem routinemäßig an die Gurgel will, weil man ihr zu links, zu schwul, zu Frau, zu arm oder einfach zu anwesend ist. Kein Grund zu bleiben ist ein guter Grund zu gehen, heißt es. Die Heimat so sehr wollen, dass man eher an ihr zugrunde geht, als dass man geht? Soll vorkommen, aber normal ist das nicht. Jedenfalls, wenn Normalität in Zahlen gemessen wird. Einundzwanzig Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland, dazu kamen in den letzten Jahren über drei Millionen Geflüchtete. Jody Korbach stellt die Frage, die keiner hören will, nämlich, wo die eigentlich hinkommen. Nein, nicht in dem Sinne. In dem anderen. In dem Sinne, dass der Sehnsuchtsort zum Albtraum wird. Dass der Fluchtpunkt keine Perspektive hat. Weil ein Loch ein Loch ist.

Wenn Normalität in Zahlen gemessen wird, ist die Migration, also das Migrieren wie das Migriertsein und das Von-Migrierten-Abstammen, ein ebenso normaler Zustand wie das Deutschsein. Ja, das sind die Auswahlmöglichkeiten, da müssen wir jetzt durch. Bevor jedenfalls die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Klassenkämpfe war, war sie eine Geschichte der Migranten. Unterwegs sein ist conditio humana, mehr noch als Streit oder Sprache oder Kapitalismus. Die Straßen, auf denen wir die Welt eroberten, wurden erst Jahrtausende später zu Handelswegen. Homo Migrans. Das Reisen steckt uns buchstäblich in den Knochen. Warum kriegen wir es dann nicht hin?

Man muss vielleicht so ganz gehen, um auch ganz ankommen zu können. Und das geht vielleicht gar nicht. Was dann? Martin Sellner wüsste da was. Wir haben es in hunderttausend Jahren nicht gelernt, die Reisenden das Ankommen nicht und die Einheimischen das Willkommenheißen auch nicht. Da soll noch einer sagen, Übung mache den Meister. 

Hinterher will es ja immer keiner gewesen sein, dieses Deutschland, das Reisende mit Lynchmobs empfängt und klatscht, wenn ihre Häuser brennen. Man will immer Reisegenuss-Deutschland sein und nie Todesangst-Auslösen-als-Freizeitgestaltung-Deutschland. Jody Korbach lässt uns nicht so leicht vom Haken. Die einen sehen sich brüllen und spucken, schlagen und treten. Die anderen sehen sich angebrüllt und bespuckt und getreten werden. Am Ende denken beide vielleicht das gleiche, raus, bloß raus hier, raus aus diesem Loch, irgendwohin, wo “der Mensch dem Menschen ein Helfer ist”. Beide treten nach dem Ausstellungsbesuch auf die gleiche Straße und müssen versuchen, einander Helfer zu sein. Alles muss man selber machen. Fluchtwege freihalten!"

Özge Inan, Autorin und Journalistin