Chiang San-shih

Gebrochene Kontinuität.
Zeitgenössische Berg-Wasser-Malerei
12.04.–17.05.2014 | Eröffnung: 12.04. | 18 Uhr

Einführung: Dr. Fabian Heubel (Academia Sinica Taipei /
Goethe-Universität Frankfurt/M.)

Künstlergespräch: 03.05.2014 | 16 Uhr
Öffnungszeiten: Samstag von 14–17 Uhr u.n.V.


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»Gelöste Konstellation I « | Tusche auf Papier | (Ausschnitt) | 2012

 

Gebrochene Kontinuität.

Zeitgenössische Berg-Wasser-Malerei

Fabian Heubel
(Institute of Chinese Literature and Philosophy, Academia Sinica, Taipei)

CHIANG San-shih (geb. 1972 in Taiwan, lebt in Taipei, Taiwan und Eppstein im Taunus) arbeitet in der Kontinuität chinesischer Berg-Wasser-Malerei, die sie in den Kontext zeitgenössischer Kunst einbringt. Zugleich zeugt ihre Tuschmalerei von einem Bruch mit der Tradition, der in Geisteshaltung, Bildaufbau und Maltechnik zum Ausdruck kommt. Die Bilder entstehen in Resonanz mit der natürlichen Umgebung. Sie sind subtile Übungen eines ungezwungenen Hin-und-Her zwischen Selbstbildung und Selbstvergessenheit. Für Chiang San-shih ist Malen vor allem ein Weg der Kultivierung: ein Weg, der mehr ist als Kunst.

Die meisten Bilder werden im Laufe eines Tages abgeschlossen und haben deshalb den Charakter von Tagebuchaufzeichnungen. Sie sind flüchtige Wegmarken, unspektakuläre Eintragungen in ein Maltagebuch, das nicht auf Verständlichkeit zielt, sondern von der Konzentration auf die individuelle Erfahrungsfähigkeit geprägt ist. Wie die klassische Berg-Wasser-Malerei chinesischer Literaten leben ihre Bilder von der Erfahrung des Alleinseins in der Natur. Sie scheinen den Rückzug, wenn nicht gar die Flucht vor sozialen Zwängen und politischen Kämpfen zu signalisieren. Doch wer wollte leugnen, daß die Kultivierung des Alleinseins soziale und politische Bedeutung hat? Daß Natur und Alleinsein soziale und politische Kategorien sind?

Chiang San-shih bricht mit vielen Konventionen der klassischen Literatenmalerei. Dieser Bruch zeigt sich in ihrer Entscheidung, in der Natur zu malen und dabei das Papier direkt auf einen großen Bachstein (in den wild bewachsenen Bergen im Süden von Taipei) oder den Waldboden (im Taunus bei Eppstein) zu legen. Indem sie das Papier als Membran zwischen malerischem Vorgang und natürlicher Umgebung gebraucht, löst sie sich von zu Klischees erstarrten Motiven der klassischen Tuschmalerei: massive Berge oder Flußlandschaften mit ihren Pavillions, Booten und stilisierten Personen in weiten Gewändern. Gleichwohl lebt in ihren Bildern das Ideal von Malerei als Weg der Kultivierung und Subjektbildung fort. Dieser ist keine Fluchtweg aus der Moderne, vielmehr die tastende Übung von Möglichkeiten der Subjektbildung jenseits der falschen Alternative von bewußtem Subjekt und mystischer Subjektlosigkeit.

Das Motiv gebrochener Kontinuität, das die Bilder durchzieht, variiert das für die klassische ostasiatische Tuschmalerei charakteristische Spiel von Leere und Fülle, von feuchter und trockener Tusche, von lebendigen Linien und unendlich nuancierten Grautönen. Dieses Spiel war immer schon sensibel für historische Umstände und Veränderungen, um sodann, im 20. Jahrhundert von jenem Wirbelsturm hybrider Modernisierung erfaßt zu werden, der die kulturelle Landschaft Ostasiens zutiefst verändert hat. Zwischen Kontinuität und Diskontinuität versucht Chiang San-shih neue Möglichkeiten ästhetischer Freiheit zu erkunden: Durch Anerkennung von Diskontinuität zur Kontinuität fähig zu werden. Das ist der Weg der Kultivierung, auf dem ihre Malerei sie begleitet.

 

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Pressebild

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