Catharina Szonn
Geliebte grüßen zum Abschied
Eröffnung: 24. August 2024, 18 Uhr
Einführung: Caroline Streck
Dauer der Ausstellung: 24. August – 12. Oktober 2024
Artist Talk: 12. Oktober 2024, 16 Uhr
Catharina Szonns raumgreifende Installationen stellen auf poetische Weise Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine, Fortschritt und Vergänglichkeit. In ihrer aktuellen Ausstellung im Neuen Kunstverein Gießen füllt die sich auf und ab bewegende Geste einer Schranke den Raum aus. Ohne einen Weg, den sie versperrt oder zugänglich macht, ist die Vorrichtung aus dem Kontext ihrer eigentlichen, für uns alltäglichen Funktion herausgehoben. Das Winken der Schranke - alle 15 Minuten ändert sich ihre Position - lässt das Maschinenhafte menschlich wirken. Durch eine modifizierte Partygirlande, die mit der sich bewegenden Stange verbunden ist, wird die Maschine zu einem*r sprechenden Akteur*in verwandelt - sobald sie nach oben schwenkt, ist auf der Girlande eine Art Gedicht zu lesen:
Today I feel cold inside
Prognosen die das Ungewisse kalkulieren
Die Zeilen wechseln zwischen zwei Sprachen, zwischen Emotionalität und Rationalität. Stets stellt sich die Frage: Wer oder was spricht hier? Ist es die Stimme einer menschgewordenen Maschine, die uns als helfende Hand bedingungslos zur Seite steht? Oder hören wir einer menschlichen Erzählung zu? Diese unauflösbare Mehrdeutigkeit verweist auf das rationale Verhalten, dem wir - als fühlende Wesen - in einer durch und durch technisierten Umwelt oft unterworfen sind.
Das andere Ende der Girlande wird von einer kleinen Brunnenfigur gehalten, die ehrfürchtig zu der Maschine aufblickt. Hier entstehen Fragen über das Bändigen der Technik und einen möglichen Kontrollverlust: Wo finden wir uns selbst in den Abläufen unserer sich ständig verändernden, von Fortschritt getriebenen Welt wieder? Beherrschen wir die Maschinen oder beherrschen sie uns? Der spiegelnde Boden verstärkt diesen reflexiven Moment und intensiviert das Leuchten des Textes auf den LED-Paneelen:
eine Entfernung ist ein Abstand zwischen zwei Punkten
Maschinen steigern menschliche Leistungen
es hat sich nach Leben angefühlt
nothing can detach me from it
ich würde dich direkt in meine Arme schließen
wenn du nur greifbar sein würdest
Die zweite Strophe und der Ausstellungstitel verweisen auf den Alten Friedhof, der sich hinter dem Gebäude des Kunstvereins befindet. Wer gedenkt den Maschinen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Was passiert mit ihnen, wenn es uns nicht mehr gibt - und umgekehrt? Es zeigt die beidseitige Abhängigkeit zwischen uns und der Technik und eröffnet eine Gegenüberstellung von Fortschritt und Vergänglichkeit.
Die menschgemachte Binarität - an/aus, offen/geschlossen - der Schranke, die eigentlich keinen interpretativen Spielraum zulässt, wird von Szonns mehrdeutiger Installation gebrochen. Die Vorrichtung stellt keinen physischen Übergang dar, sondern einen abstrakten Zwischenraum, der sinnbildlich die Verschränkung von Mensch und Maschine aufgreift und eine neue Art der Begegnung schafft.
Text: Dalwin Kryeziu & Lena Fries
Catharina Szonn (* 1987, lebt und arbeitet in Berlin) setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit technologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten unserer Gegenwart auseinander, bei der sie Maschinen als hinterbliebene Kolloborateur:innen einer unentwegten Idee von wirtschaftlicher Expansion darstellt. Fragen nach der Unendlichkeit von Raum werden dabei ebenso verhandelt, wie das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie, Fragen nach Fortschritt, Wachstumsutopien und deren Scheitern.