Martin Pfahler

Kottbusser Kiosk
16.02.–30.03.2013 | Eröffnung: 16.02. | 18 Uhr

Einführung: Andrea Knobloch (Künstlerin/Düsseldorf)
Künstlergespräch: 17. Februar 2013, 16 Uhr
Öffnungszeiten: Samstag 23. & 30.03. von 14–17 Uhr u.n.V.


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Mit seinen Architekturskulpturen nimmt Martin Pfahler die gebaute Umwelt reflektierend und sezierend unter die Lupe. Seine Arbeiten, die als spezifische Rekonstruktionen urbaner Räume zu lesen sind, verlassen die Zweckgebundenheit der Baukunst und werfen grundsätzliche wie spezielle Fragen nach der Beschaffenheit und symbolischen Funktion der Architektur auf. Auch im Neuen Kunstverein stellt Pfahler die Fragen: „Was ist die Wesenhaftigkeit eines bestimmten Ortes?“ oder „Wie werden Räume von uns gelesen?“, und macht sie zur Grundlage seiner ortsspezifischen Arbeit.
Die solide gemauerte Behausung des Gießener Kunstvereins blickt bekanntermaßen auf eine prägnante Kiosk-Vergangenheit zurück. Martin Pfahler bespielt den kleinen Innenbereich des zum Kunstort umgewidmeten Raumes mit einer Installation, die sich auf die Architektur und ehemalige Funktion dieses Ortes bezieht. Hinter dem Titel Kottbusser Kiosk verbirgt sich die zitierende Auseinandersetzung mit einem zehnstöckigen Berliner Wohnblock aus den 70er-Jahren. Mit diesem, dem Neuen Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor, ist eine denkwürdige Geschichte verfehlter Stadtplanung verbunden.
Pfahler greift ein Stück der Außenverkleidung des Appartementblocks in einer fragilen, verkleinerten Konstruktion auf. Er passt sie als raumgreifende Faltung, für die Oberfläche und Struktur gleichermaßen wichtig sind, in den Pavillon ein. Das rätselhafte Fassadenzitat eines existierenden Gebäudes erfüllt im Gießener Kunstverein durch die abgerundete Öffnung in der Wand, die als Durchreiche gelesen werden kann, die einfachste Voraussetzung für das mögliche Bild eines „Kiosk im Kiosk“.


Martin Pfahler
geboren 1957, lebt in Berlin. 1982-1988 Studium der Malerei an der UdK Berlin; Studienaufenthalte in Frankreich, Italien, London; seit 1989 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland; 2003-2006 Leitungsmitglied und Kurator der 2yk Galerie – Kunstfabrik am Flutgraben Berlin; seit 1996 Wettbewerbe und Projekte für Kunst im öffentlichen Raum (Berlin, München, Cottbus); 2003-2009 Lehraufträge in Berlin, Halle, Görlitz; 2010-2012 Gastprofessur am Institut für Kunstpädagogik an der JLU Gießen.

 

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Einführung: Andrea Knobloch (Künstlerin/Düsseldorf):

„Ich danke für das mir entgegengebrachte Vertrauen und freue mich, heute die Eröffnungsrede zur Ausstellung „Kottbusser Kiosk“ von Martin Pfahler halten zu dürfen. Mir wurde gleichzeitig aufgetragen, nicht „oberakademisch“ zu reden. Da habe ich mich natürlich gefragt, was das bedeutet und wie ich mich darauf einstellen kann.

Nicht „oberakademisch“ reden könnte heißen, keine komplizierten und gewundenen Sätze zu schmieden, auf lateinisch-stämmige Fremdworte zu verzichten, und sich nicht besserwisserisch und autoritär aufzuführen sondern überraschend und eröffnend zu sprechen. Nicht „oberakademisch“ könnte auch „nicht langweilig“ meinen, was hieße, keine selbstherrliche Rede zu halten, sich nicht als Wissende zu gebärden, die Unwissende an ihrem Kenntnisreichtum teilhaben lässt und nicht über sondern von etwas zu sprechen. Nicht „oberakademisch“ muss allerdings auch nicht bedeuten, sich vordergründig, populistisch und kumpelhaft auszudrücken.

Die Rede, mit der ich mich an Sie wende, zählt auf Ihre zuvorkommende Bereitschaft, mir zuzuhören. Meine Verantwortung als Rednerin, die öffentlich spricht, liegt darin, diese Bereitschaft respektvoll und sorgsam anzunehmen und mit einer Rede zu beantworten, die Ihnen zugewendet ist. Diese Verantwortung teilt die Rednerin mit dem Künstler, der ein Werk, das in seiner Werkstatt entstanden ist, öffentlich zu sehen gibt und auf Ihre/unsere zuvorkommende Bereitschaft rechnet, es zu erleben.

Auch dem Künstler ist aufgegeben, sich nicht in eine vorgeblich autonome künstlerische Freiheit zurückzuziehen, sondern das eigene Verwickelt-Sein in die von Menschen gemachte Welt und die menschlichen Angelegenheiten als Aufgabe, als etwas ihm aufgegebenes, wahrzunehmen und mit künstlerischen Mitteln zu beantworten. Aus der offenen Begegnung mit dem anderen und dem sich aufmerksam darauf Einlassen kann sich ein künstlerischer Prozess entwickeln, der sich nicht im Fertigstellen verschließt sondern auf etwas öffnet.

Martin Pfahlers Einbau in den Raum des Neuen Giessener Kunstvereins bleibt unvollständig. Die zur Hälfte ausformulierte rundliche Aussparung in der angedeuteten Fassade des „Kottbusser Kiosk“ lässt sich als Fenster lesen, als Luke, durch die alle Waren, die ein Kiosk vorhält, hindurchgereicht und in der Stadt verteilt werden. Das „Kottbusser Kiosk“ hat keine Wände, die ein Innen begrenzen und sein Fenster öffnet sich nicht dem ausgesperrten Außen. Es dient nicht als Mittel zu dem Zweck, den die Bezeichnung „Kiosk“ andeutet, sondern verharrt im Zustand des Werdens und bleibt unvollständig.  

Jedes Werken und Bauen drängt auf Fertigstellung. Ein Ende muss gefunden werden, damit das Einrichten und Wohnen – oder besser das Einwohnen – beginnen kann. Andererseits kann das Bauen nie an ein Ende kommen, weil sich die im Plan formulierten Bedingungen ständig wandeln und der Bau, kaum ist er fertig gestellt, den verschobenen, „ver-rückten“ Ansprüchen der „Einwohner/innen“ schon nicht mehr genügt. Das Bedürfnis nach verlässlicher Dauer als Orientierung im Geschiebe der dauerhaft im Wandel befindlichen Lebenswelten wird im Bauen durchkreuzt von der Forderung nach ständiger Aktualisierung und Anpassung an veränderte Lebensweisen und -haltungen.

Das dem Künstler vom Kunstbetrieb abgeforderte gültige Werk, das seine Position innerhalb seiner Zeit als verlässliche Markierung festhält, erfordert ein endgültiges Fertigstellen, was wie mir scheint dem bildhauerischen Vorgehen von Martin Pfahler widerspricht. Aus der zerlegbaren Tragstruktur des „Kottbusser Kiosk“ und seiner „Verkleidung“ aus handlichen Platten lässt sich gerade kein endgültiges Ganzes zusammenfügen. Es bleibt bei einem Ausschnitt aus einem Größeren, dessen Gestalt im ausgewählten Fragment angedeutet ist aber nicht vollständig enthüllt wird. Pfahlers Architekturen sind keine Bauten, auf die man sich stützt. Ihre Statik ist fragil und sie bieten keinen Schutz. Es sind entlaufene Bauteile, die sich in fertig „gestellte“ Bauten einnisten. Dort entfalten sie sich als widerstrebende „Einwohnerinnen“, die eine vorläufige Fortsetzung der gegebenen Architektur erproben.

Indem sie dem Fertigen und fest Gefügten ein Bewegliches und Vorläufiges entgegen stellen, spannen sie einen Bogen zwischen dem gebauten und dem gelebten Raum. Die von der „Softarchitecture“ der 70er Jahre eingeführte „runde Ecke“, die Pfahler in der hier eingerichteten Bauplastik aufgreift, kann man als Zugeständnis der Architektur an die Menschen verstehen, die sie beleben. Der gerundete rechte Winkel weist auf ein Entgegenkommen, kann aber dem gebauten Raum nicht aus seinem Dilemma heraushelfen: Die der Statik geschuldete Erstarrung seiner Elemente stellt sich der Beweglichkeit, Biegsamkeit und Geschmeidigkeit der ihm einwohnenden lebendigen Körper stets als Hindernis entgegen. Ein Plan kann niemals die Vielfalt und Wandelbarkeit des Gebrauchs, der den gebauten Raum belebt, vorhersehen. Der „Kottbusser Kiosk“ verharrt zwischen Entwurf und Bauwerk. zwischen Erscheinen und Verschwinden, zwischen nicht mehr und noch nicht. Trotz kluger und vorausschauender Planung kann er niemals „fertig“ werden. In dieser Unmöglichkeit öffnen sich ungezählte Möglichkeiten, den unabschließbaren Bau weiterzudenken. So gesehen könnten zum Beispiel der Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie als bauplastische Möglichkeitsgeneratoren betrachtet werden, die sich den ihnen zugedachten Zwecken standhaft verschließen und als im Dazwischen eingerichtete Bauten das Vermögen und die Grenzen neuzeitlicher Planung und Baukunst dauerhaft befragen.

Die Rede vom „Kottbusser Kiosk“ endet hier nicht. Ich höre lediglich auf zu sprechen und bedanke mich für Ihr Zuhören!"

Pressebild

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